10. Mai 2022

Studie zum Arbeitsmarkt: Personalmangel in der Freizeit- und Tourismuswirtschaft erfordert politisches Handeln

Die Personalbeschaffung und -sicherung in der touristischen Freizeitwirtschaft hat sich zum existenziellen Problem entwickelt. Deutlich wurde die Dramatik der Situation im Rahmen des Programms „LIFT WISSEN“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Der Branchenverband VDFU gab eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag, die Wissenslücken zum Arbeitsmarkt und der Beschäftigungssituation von Freizeit- und Erlebniseinrichtungen schließt. Das Ergebnis zeigt Handlungsspielräume für Unternehmen auf. Doch Marktentwicklungen und demografischer Wandel erfordern dringend unterstützende Maßnahmen seitens der Politik.

Die Freizeit- und Tourismuswirtschaft zählt zu den Branchen, die von den Auswirkungen der Corona-Pandemie am stärksten betroffen sind. Dabei sind die Freizeit- und Erlebniseinrichtungen wahre Jobmotoren. Im Besonderen im ländlichen Raum gelten sie als „touristische Leuchttürme“. Sie ziehen Urlauber auch jenseits der populären Ziele in den Bergen, an den Küsten und in den Städten an und sind von hoher regionaler Bedeutung. Mit jährlich weit über 40 Mio. Besuchern, mehr als 4,5 Mio. Übernachtungen und rund 110.000 direkten und indirekten Beschäftigten sind sie ein relevanter Wirtschaftsfaktor – unter Normalbedingungen.

Doch gerade die hohen Beschäftigungszahlen machen Betreiber*innen zu schaffen. In der personalintensiven Freizeitwirtschaft ist die Deckung des Mitarbeiterbedarfs wesentlicher Erfolgsfaktor. Die in dieser Branche besonders häufig vorkommenden Erwerbsformen wie geringfügige Beschäftigung oder Saisonarbeit sind von den Folgen der Corona-Krise überproportional stark betroffen. Durch unsichere Öffnungsperspektiven und die fehlende Möglichkeit zur Kurzarbeit von Saisonkräften 2021 sind viele Beschäftigte notgedrungen in andere Branchen abgewandert.

Der demografische Wandel ist dabei ein mindestens ebenso relevanter und verschärfender Faktor. Bis 2030 werden dem inländischen Arbeitsmarkt bis zu fünf Millionen weitere Beschäftigte verloren gehen. Das entspricht über zehn Prozent der Gesamtbeschäftigten in Deutschland.

In der Konsequenz haben bereits heute fast 90 Prozent der Freizeiteinrichtungen signifikante Schwierigkeiten, ihre Stellen zu besetzen. In mehr als drei von vier Betrieben wird die Angebotsgestaltung bereits durch fehlende Beschäftigte beeinflusst.

Neben der grundlegenden Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Branche bezog die Studie des VDFU Personalverantwortliche ebenso wie die Beschäftigten selbst ein. Es konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die es betroffenen Betrieben erlauben, die Bindung der Mitarbeiter zu stärken, Konditionen zu optimieren und Rekrutierung effizient umzusetzen.

Hinsichtlich der Situation auf dem Arbeitsmarkt wurde deutlich, dass es davon unabhängig zwingend politische Maßnahmen erfordert, um dem Ausmaß der Herausforderung begegnen zu können. Als ein konkretes Beispiel lässt sich dies an der Anbindung an den ÖPNV und den Mitarbeiterunterkünften veranschaulichen.

So werden fast acht von zehn inländischen Saisonkräften in einem Umkreis von 30 km zur Arbeitsstelle rekrutiert. Fehlende oder unzureichende Anbindung an den ÖPNV wird zum Beschäftigungshindernis. Um dennoch überregional oder international Arbeitskräfte ansprechen zu können, investieren Freizeiteinrichtungen stark in den (Aus-) Bau von Mitarbeiterunterkünften. Zum Teil übersteigen diese Ausgaben Investitionen in Ausbau und Weiterentwicklung von Produktbestandteilen (z.B. neuen Attraktionen, Fahrgeschäfte, Innovationen).

Gleichzeitig werden Bemühungen der Unternehmen durch die Bereitstellung von Wohnraum konterkariert, da die Mitarbeitenden kostenfrei überlassenen Wohnraum als Sachbezug zu versteuern haben. Die Ursache ist ein Relikt des deutschen Steuerrechts aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und sollte die Überlassung von Wohnraum für Berufseliten als Gehaltsbestandteil eingrenzen. Im heutigen Arbeitsmarkt verursacht die Regelung eine empfindliche Steuerbelastung zuungunsten von Geringverdienenden und ist entscheidender Standort- und Wettbewerbsnachteil gegenüber Nachbarländern mit starkem Tourismussektor.

Die Studie im Auftrag des VDFU offenbart auch Positives. Die Zufriedenheit unter den Beschäftigten in den Freizeiteinrichtungen ist ebenso hoch wie die Wertschätzung der Arbeitgeber*innen. Um beidseitigen Bedürfnissen umfänglich gerecht zu werden, müssen Rahmenbedingungen angepasst werden, um eine bedrohliche Kettenkreation zu vermeiden.

VDFU-Präsident Friedhelm Freiherr von Landsberg-Velen resümiert die aktuelle Situation treffend: »Die umtreibende Sorge in den kommenden Jahren wird nicht sein, ob wir unsere Tore öffnen dürfen. Sie wird sein, ob jemand da ist, um aufzusperren.«

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